In Indien ist KI eine Verheissung, in China ein Instrument der Effizienz, in den USA mittlerweile ein politisches Minenfeld.
Und in der Schweiz?
Hier funktioniert, was funktioniert – eine pragmatische Maxime, die das Land bei Künstlicher Intelligenz in eine global beachtliche Position gebracht hat. Zwischen technologischem Enthusiasmus und abwehrenden Reflexen bahnt sich die Eidgenossenschaft einen charakteristischen Mittelweg.
Doch ist dieser Weg nachhaltig?
Unser letzter Blog hat die Schweiz mit den direkten Nachbarn Deutschland, Frankreich und Italien verglichen. Heute schauen wir über den Tellerrand hinaus auf die USA, Indien und China. Auf Basis der globalen Studie »Trust, attitudes and use of artificial intelligence: A global Study 2025« von KPMG und der University of Melbourne rücken wir den Schweizer Sonderweg ins internationale Scheinwerferlicht.
Inhalt
In bester Gesellschaft: Die Schweiz zwischen Supermächten und Techgiganten
Der nüchterne Blick auf die Zahlen: 46% der Schweizerinnen und Schweizer vertrauen KI-Systemen. Eine beachtliche Quote, die die USA (41%) hinter sich lässt, aber gegen die technologische Euphorie in Indien (76%) und China (68%) fast bescheiden wirkt.
Beim beruflichen Einsatz zeigt sich ein ähnliches Bild: 46% Nutzungsquote in der Schweiz – gleichauf mit China, aber deutlich unter Indiens rasanten 67%.
Was auf den ersten Blick wie solides Mittelmass wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als typisch schweizerische Position: Während indische Tech-Hubs KI als gesellschaftlichen Aufzug feiern und China sie als strategisches Werkzeug in nationale Strukturen einbettet, steht in der Schweiz der unmittelbare Nutzen im Vordergrund.
Keine grossen Visionen, keine staatsphilosophischen Debatten – stattdessen die pragmatische Frage: Was bringt’s?
Vertrauen vs. Kontrolle
Die überraschendste Erkenntnis: Drei von vier Schweizerinnen und Schweizern (74%) übernehmen KI-Ergebnisse ohne kritische Prüfung. Das ist ein hoher Wert – aber weit tiefer als in Indien (81%) oder China (78%).
Diese Zahlen spiegeln sich im Bedürfnis nach Schutzmassnahmen und sprechen Klartext: In der Schweiz hält nur knapp die Hälfte (47%) die bestehenden Schutzmassnahmen für ausreichend.
Weniger kritisch sehen das die asiatischen Mitstreiter: In China halten 69% und Indien 73% die bestehenden Schutzmassnahmen für ausreichend. In den USA hingegen ist das Vertrauen in Schutzmassnahmen mit 29% gering.
Diese Konstellation verdeutlicht einen kulturellen Unterschied: In Ländern wie Indien und China herrscht mehr Grundvertrauen in Technologie und Regulierung, was oft auf wahrgenommene Vorteile und Chancen zurückgeführt wird. In der Schweiz dominiert hingegen das Prinzip der Eigenverantwortung, verbunden mit einer kritischen Haltung gegenüber Regulierungslücken.
Für Schweizer KMU ergibt sich daraus die Notwendigkeit, proaktiv eigene KI-Richtlinien und Kontrollmechanismen zu schaffen, um Vertrauen und Akzeptanz zu sichern, bevor der regulatorische Druck zunimmt.
Kompetenzprofil: Solides Fundament mit Ausbaupotenzial
Die selbsteingeschätzte KI-Kompetenz der Schweizer Bevölkerung kann sich sehen lassen: 58% fühlen sich sattelfest im Umgang mit der neuen Technologie. Fast jeder Zweite (45%) setzt KI bereits effektiv ein. Diese Kompetenz-Werte übertreffen die der USA (52%) – wirken aber fast schon bescheiden im Vergleich zu Indien (83%) und China (78%).
Eine überraschende Diskrepanz: Ausgerechnet die Schweiz mit ihrem exzellenten Bildungssystem rangiert bei der KI-Kompetenz nur im oberen Mittelfeld. Ein untypisches Understatement für ein Land, das sonst in Bildungsrankings Spitzenplätze belegt.
Die Ursache liegt auf der Hand: Während asiatische Länder KI-Bildung mit Hochdruck in Curricula verankern und massiv in digitale Kompetenzen investieren, setzt die Schweiz auf organisches Wachstum und bedarfsorientierte Anpassung.
Ein bewährter Ansatz, der angesichts der KI-Dynamik jedoch zu langsam sein könnte.
Der Impuls: Schweizer Unternehmen und Behörden sollten jetzt in praxisnahe KI-Kompetenz investieren. Nicht als Selbstzweck, sondern als strategisches Asset. Moderne Bildungsformen sind dabei ein wichtiges Instrument.
Klare Sicht auf Risiken in der Schweiz
Hier zeigt sich ein faszinierendes Muster: Trotz überdurchschnittlicher Nutzung und Akzeptanz äussern drei von vier Schweizerinnen und Schweizern (76%) Bedenken gegenüber KI-Risiken.
Diese kritische Grundhaltung steht in auffallendem Kontrast sowohl zur amerikanischen Skepsis (39% Risikowahrnehmung) als auch zum chinesischen Systemvertrauen (51% trotz höherer Nutzung).
Es ist eine typisch schweizerische Position: Nutzen ja, blinder Glaube nein.
Diese Balance ist Gold wert. Anders als Länder, die zwischen Technikverweigerung und unkritischer Adaption pendeln, hat die Schweiz die Chance, einen andern Weg zu beschreiten: maximaler Nutzen bei minimiertem Risiko – eine Formel, die zum Schweizer Erfolgsmodell im KI-Zeitalter werden könnte.
Die strategische Chance: Wer KI-Risiken systematisch erfasst, bewertet und steuert, schafft nicht nur technische Sicherheit, sondern auch gesellschaftliches Vertrauen. Eine typisch schweizerische Win-win-Situation.
Helvetisches KI-Fazit
Die Schweiz hat das Zeug dazu, einen eigenständigen KI-Weg zu beschreiten: innovativ ohne Leichtsinn, kontrolliert ohne Lähmung, nutzenorientiert ohne Blindheit für Risiken. Es wäre ein typisch schweizerischer Weg – und vielleicht genau deshalb ein wünschenswertes Modell.
Anmerkung zur Studie: Die globale Erhebung “Trust, attitudes and use of artificial intelligence: A global study 2025” wurde von KPMG in Zusammenarbeit mit der University of Melbourne durchgeführt. Sie umfasst Befragungen in 45 Ländern mit je mindestens 1.000 Befragten Personen pro Land. Die Erhebung fand im Zeitraum November 2024 bis Januar 2025 statt und berücksichtigt sowohl privaten als auch beruflichen KI-Einsatz.
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